Interview der Frankfurter Rundschau mit Ernst Ulrich von Weizsäcker über den Zusammenhang von billigem Erdöl und Finanzkrise.
Herr von Weizsäcker, Sie sagen: Die Wurzeln der Finanzkrise in den USA gehen auf die Reagan-Ära in den 80ern zurück. Die gelten bei vielen eigentlich als goldene Jahre.
Die Reagan-Zeit war geprägt durch übersteigerten Optimismus und billiges Erdöl. Reagan erhob den Optimismus zur patriotischen Pflicht. Es war sein Schlachtruf gegen alle Schwarzmaler, Umweltschützer und die verhassten Liberalen, die nach dem Staat riefen, statt sich selbst und dem Markt zu vertrauen. Das billige Öl fiel Reagan praktisch zu seinem Amtsantritt in den Schoss. Das wirkte wie Miraculix‘ Zaubertrank für die ganze US-Wirtschaft.
Was ist schlecht an Optimismus?
Ein blinder Optimismus hat bei skandalösen Fehleinschätzungen in der Kreditvergabe für Häuser und bei der AAA-Bewertung entsprechender Hypothekenpapiere Pate gestanden. Optimismus an sich hat ja sehr gute Seiten. Er entspricht der in der US-Volksseele verwurzelten Mentalität des “Can do”. Aber wo Optimismus in Blindheit umschlägt, geht es schief.
Was hat die aktuelle Bankenkrise aber mit dem billigen Öl der 1980er Jahre zu tun?
Billiges Öl führte dazu, dass US-Autokonzerne eine neue Produktsparte entwickelten: die SUV – als LKW zugelassene robuste, spritfressende Groß-PKW, die das Steuerprivileg von Lastwagen ausnutzten. Für das Gefühl, in einer Festung zu fahren, nahmen viele den hohen Spritverbrauch in Kauf. Schlimmer noch: Der Siedlungsraum rund um die Städte wurde unter dem Eindruck billigen Benzins gewaltig ausgedehnt. Viele Millionen neuer Häuser wurden weit ab von den Arbeitsplätzen gebaut.
Autos und Häuser waren also das Rückgrat des Aufschwungs in den 80er und 90er Jahren, gefolgt vom Internetboom.
Richtig, aber die Häuser wurden auf Pump gebaut, mit günstigsten Krediten von Hypothekenbanken. Es wuchs ein riesiger Dschungel von nachrangigen Hypotheken, die nur dann gesichert waren, wenn die Häuserpreise weiter zunahmen oder wenigstens stabil blieb. Banken rissen sich um die Kunden und schauten bald nicht mehr so genau hin, ob sie wirklich dauerhaft zahlen konnten.
Konnten sie nicht.
Aber das wurde erst sichtbar, als dann von 2006 an endlich die Wahrheit über die Ölknappheit zutage trat und die Benzinpreise nach oben schossen. In der Folge purzelten die Immobilienpreise weit draußen vor der Stadt. Plötzlich waren die Hypotheken nicht mehr gesichert. Die Eigentümer saßen in der Patsche. Erst verzichteten sie auf überflüssiges Fahren, dann schauten sie, ob sie ihren SUV-Benzinfresser noch gegen ein sparsameres Auto eintauschen konnten, häufig vergeblich. Dann schauten sie sich nach öffentlichen Verkehrsmitteln um, fast immer vergeblich. Dann mussten sie an den Verkauf des Hauses denken.
Der Anfang vom Ende der Hypothekenbanken.
Ja, die Banken wurden immer nervöser, weil Hunderttausende von Krediten faul wurden. Versicherungen mussten einspringen – was zur Krise bei dem größten Versicherer AIG führte. Das in den USA aufgelegte staatliche 700-Milliarden-Dollar-Hilfspaket ist vielleicht unumgänglich, aber eine grauenhafte Hypothek für den Staat, der schon durch den Irakkrieg hoch verschuldet ist.
Der nächste US-Präsident übernimmt eine schwere ökonomische Hypothek. Ist da eine fortschrittliche Energie- und Klimapolitik noch möglich?
Siedlungsstrukturen und Schienennetz kann man in vier Jahren nicht groß verändern. Die Infrastruktur der Reagan-Jahre lastet wie Blei auf allen Reformversuchen.
Wer hat die besseren Rezepte, McCain oder Obama?
McCain’s Vizekandidatin Palin verkörpert das optimistische Weiterträumen, McCain hält an der Politik der Steuersenkungen fest, möchte aber immerhin aktive Klimapolitik machen. Obama und Biden wollen mehr verändern. Die Wall-Street-Krise bringt manche dazu, größere Veränderungen für unumgänglich zu halten.
Interview: Joachim Wille
Erschienen am 08.10.2008 in der Frankfurter Rundschau Online