Buchrezension von Gerd Pfitzenmaier in der Frankfurter Rundschau vom 22.03.2005 zu:
Limits to Privatization. How to Avoid Too Much of a Good Thing, Earthscan, London 2005.
„Privatisierung braucht Grenzen“. Wer sein Buch so beginnt, versteht dies als Programm. „Limits to Privatization“ (Grenzen der Privatisierung) stellt sich als neuer Bericht an den Club of Rome nicht nur im Titel in die Reihe früherer Expertisen (Grenzen des Wachstums) an den Rat. Auch inhaltlich knüpft er an die Tradition älterer Texte an und verknüpft wissenschaftliche Analyse mit deutlichem Urteil.
Der ehemalige Direktor des Wuppertal Instituts und heutige Vordenker der SPD-Bundestagsfraktion in Umweltfragen, Ernst Ulrich von Weizsäcker, schlüpft als Herausgeber dieser Sammlung detaillierter Erfahrungsberichte denn auch lieber in seine Rolle als Wissenschaftler und sieht sich weniger als Politiker. Er und seine Mit-Herausgeber – Matthias Finger von der Ecole Polytechnique Federale de Lausanne und Oran Young von der University of California – bemühten sich gemeinsam mit den Autoren um eine unideologische Sicht auf das Thema und sahen sich sogar genötigt, noch vor Erscheinen des Werks beim britischen Verleger einen Nachtrag zu erbitten.
„So ein Pech“, musste er dem Autor des Kapitels über die Privatisierung der Wasserversorgung von El Alto schreiben, „kaum ist das Buch fertig, gibt’s in La Paz eine Rebellion gegen die privatisierte Wasserversorgung“. Der Beitrag steht nicht bloß als erster im Buch. Er ist zudem eines jener Beispiele für eine gelungene Privatisierung, wie Weizsäcker oft betonte. Und jetzt die Revolte! Was andere ins Schwitzen brächte, ist für ihn aber Beweis für die unvoreingenommene Recherche. „Ich bin nicht unglücklich“, sagt er, „wir können jetzt sagen, unser Bemühen darum, die Privatisierung neutral zu schildern, ging so weit, dass unsere Auswahl und Bewertung zu optimistisch war!“
Die Auswahl mag subjektiv sein. Die Bewertung der mehr als 60 Beispiele aber orientiert sich an Fakten. Zahlreiche Tabellen ergänzen die Texte. Erklärungen untermauern Argumente. Die Autoren fahnden nach Gründen, warum die Privatisierung staatlicher Aufgaben wie Wasserversorgung, Telekommunikation, Gesundheits- und Bildungswesen oder Militär in Einzelfällen den Bürgern Vorteile brachten, in anderen aber neben höheren Preisen einen schlechteren Service bescherten. Letzteres widerlege das Argument, „dass die Wirtschaft kosteneffizienter als der Staat arbeite“.
Limits to Privatization enttarnt auch das Märchen, dass Privatisierung (etwa der Telekommunikation) die technische Entwicklung vorantreibe. „In Mexiko sah das so aus, in Uruguay hat sich der gleiche Erfolg in staatlicher Regie eingestellt“, lautet das Fazit der Autoren.
Solche Analysen, betont Weizsäcker, seien wichtig, eben weil es nicht um ein Für-oder-Wider gehe, sondern, weil wir die Grenzen der Privatisierung suchten. Ein lange vermisster Ansatz. Allein schon darin liegt ein Gewinn des Buchs. Zudem kann es helfen, die Debatte über den Einfluss von Staaten auf ihre Dienstleistungen im neuen Licht zu führen. „Gemeinsam ist den Erfolgsgeschichten“, zieht Weizsäcker Bilanz, „dass es einen starken, Regeln setzenden und die soziale Ausgewogenheit bedenkenden Staat gibt.“
Dieser müsse jederzeit die Möglichkeit haben, eine privatisierte Dienstleistung zurück zu kaufen. Mit deutlichen Worten stellen die Autoren klar, dass ihr Bemühen um Balance nicht heißt, dass sie (wirtschafts-)politische Eunuchen sind. Ihre eingehende Recherche verleiht dem Urteil zusätzliches Gewicht.
Die Beispiele der Autoren zu kennen, hilft zudem, Fehlentwicklungen künftiger Privatisierungsvorhaben zu entlarven. Dabei fahren die Autoren trotz aller Suche nach wissenschaftlicher Ausgewogenheit keinen Schmusekurs. Sie kritisieren etwa schonungslos die Privatisierung des Militärs in afrikanischen Staaten. „Die führte dazu, dass sich nur noch Wohlhabende schützen können.“ Oder zuviel Privatisierung in der Forschung: „Heute wird mehr Geld für die Suche nach Medikamenten gegen Fettsucht ausgegeben als gegen Tropenkrankheiten.“
Diese Erkenntnisse aus den über zweijährigen Recherchen führen zum Lösungsvorschlag: Wir brauchen
- Die Entwicklung und Durchsetzung globaler Regeln für die Wirtschaft,
- Die Stärkung der Zivilgesellschaft sowie
- Die Aufklärung darüber, dass die bis 1990 existierende Synergie zwischen Markt und Demokratie auseinander gebrochen ist.
„Es gibt vier Arenen, in denen die Diskussion stattfindet“, sagt Weizsäcker, „die politischen Zirkel, die Zivilgesellschaft, die Medien und die Wirtschaft selbst.“ Sein Buch will die Kooperation zwischen Privat- und Staatssektor anregen, „damit jene, die sich anständig verhalten, nicht von denen aus dem Markt gedrängt werden, die ihr Geld durch Gaunerei verdienen.“