Globalisierung, Demokratie und Arbeitsmärkte

Die Globalisierung der Weltwirtschaft rüttelt die Demokratie durcheinander. Die Demokratie moderner Prägung war für den Nationalstaat erfunden worden. In den relativ gesicherten Grenzen des Nationalstaates gab es eine hinlängliche Machtbalance zwischen dem Markt der gut ist für die Durchsetzungsfähigen und der Demokratie, die gut ist für die Mehrheiten, die im Markt weniger durchsetzungsfähig sind.

Nun aber ist der Markt global geworden, die Demokratie national geblieben. Das stellt eine neuartige und große Herausforderung für die Demokratie dar. Man muss auf neue Weise den Schutz der Schwächeren sowie den Schutz öffentlicher Güter wie etwa der Umwelt organisieren.

Diese Aufgabe stellt sich auch im Zusammenhang mit den internationalen Arbeitsmärkten und der internationalen Einkommensverteilung. Kaum ein Thema ist komplexer. Die Frage, ob durch den Globalisierungsprozess Arbeitslosigkeit und Einkommensunterschiede reduziert oder erhöht werden, ist auch in der Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft“ höchst umstritten. Einfache Antworten gibt es nicht. Differenzierte Antworten verlangen eine sorgfältige Analyse und Diskussion.

Die Globalisierung verschärft den internationalen Wettbewerb und beschleunigt den Strukturwandel. Sich ausklinken bringt nichts. Im Gegenteil. Die Länder, die sich zeitweilig aus dem internationalen Wettbewerb abgekapselt haben, stehen anschließend viel schlechter da als die, die mitmachen.

Bezogen auf Deutschland kann man vereinfacht feststellen, dass die wissens- und forschungsintensiven Bereiche einen Aufschwung erleben, während Arbeitsplätze bei standardisierten und arbeitsintensiv produzierten Industriegütern rasant abgebaut werden. Mit einem Abbau von Arbeitsplätzen ist auch in Branchen zu rechnen, deren Produktivitätssteigerung insbesondere durch die neuen Informations- und Kommunikationstechniken noch nicht ausgeschöpft sind. Die Stärke der deutschen Wirtschaft liegt in der Produktion hochwertiger for-schungsintensiver Güter und hochwertiger unternehmensbezogener Dienstleistung. Daraus ergeben sich immer höhere Qualifikationsanforderungen an die Beschäftigten. Empirische Studien zeigen, dass Tätigkeiten mit einem hohen Qualifikationsniveau zunehmen.

Weltweit hat die Globalisierung, so scheint es, das Einkommensgefälle zwischen Arm und reich vergrößert. Während in den siebziger Jahren die reichsten 20% etwa dreißig mal so viel verdienten wie die ärmsten 20%, ist der Abstandsfaktor inzwischen auf 74 angestiegen. Aber die Verbesserung der Situation der „Verlierer“ muss mit einem besseren Zugang zur Weltwirtschaft einhergehen. Im Zeitalter der Wissensgesellschaft geht es dabei besonders um den Zugang zu der neuen Informations- und Kommunikationstechnik insbesondere durch Ausbildung.

Nicht allen Arbeitskräften, die aufgrund des Strukturwandels freigesetzt werden, gelingt es, im formellen Sektor eine neue Beschäftigung zu finden. Insbesondere für niedrig qualifizierte oder ältere Arbeitnehmer, aber auch für viele Frauen ist Arbeitslosigkeit, in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern auch Verelendung oder eine Tätigkeit im informellen Sektor die Folge. Deshalb muss eine sozialverträgliche Gestaltung der Globalisierung zentraler Leitgedanke der Politik werden.

Aus diesem Grunde ist ein Schwerpunkt des kürzlich von der Enquete-Kommission vorgelegten Zwischenberichts das Thema „Sozialstandards“. Deren internationale Durchsetzung, insbesondere die Respektierung von Kernarbeitsnormen, ist notwendig, um die weltweite Arbeitsteilung nach sozialverträglichen Regeln zu organisieren und eine gerechte Verteilung von Wohlfahrtszuwächsen zu erreichen. Die Kernarbeitsnormen wurden 1995 auf dem Weltsozialgipfel in Kopenhagen in die Abschlusserklärung aufgenommen und beinhalten die Forderungen nach Vereinigungsfreiheit und Tarifautonomie, die Freiheit von Zwangsarbeit und von Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf sowie das Verbot von Kinderarbeit. Das sind nicht protektionistische Maßnahmen seitens der Industrieländer, sondern nach europäischer Auffassung grundlegende Menschenrechte.

Die Abschaffung von Kinderarbeit ist auch mit Blick auf Bildung und Qualifikation, seit Jahrzehnten anerkanntes Ziel der UNESCO und aller Entwicklungsprogramme von höchster Bedeutung.

Vereinigungsfreiheit und Tarifautonomie sind grundlegende Arbeitnehmerrechte und nötig für die Überwindung der modernen Sklaverei in Form von Schuldknechtschaft und Menschenhandel, wovon mehr als 27 Millionen Menschen betroffen sind!

Bei der Umsetzung und Kontrolle von Kernarbeitsnormen kommt der ILO eine zentrale Rolle zu. Zahlreiche multinationale Unternehmen haben sich freiwillig bereit erklärt, über Verhaltenskodizes die Kernarbeitsnormen zu respektieren und durchzusetzen. Umstritten ist noch die Integration der Kernarbeitsnormen in das System der WTO. Hier wird immer wieder der Protektionismusvorwurf erhoben. Bleibt auf die bei der WTO-Ministerkonferenz in Doha (Katar) erzielten Fortschritte zu hoffen.

Erschienen in: WSI-Mitteilungen