Freud würde vom Todestrieb sprechen. Neben dem obligat zur Schau getragenen Optimismus herrscht ein massives Vergänglichkeitsgefühl in den USA. Die Dinosaurier sind ausgestorben. Alle Kulturen haben ein Ende gefunden. Totschießen ist in den Medien all-präsent. Der gnadenlose Verdrängungswettbewerb ist die Alltagserfahrung in der Wirtschaft.
Der ständige Kampf ums Dasein gehört zum Kern des Lebensgefühls in Amerika; – oder des Todesgefühls. Auch Kriege gehören dazu. Sie dienen dazu, die Bösen zu besiegen. Der Gute ist der Stärkere. So ist die Moral im Western.
Auch der wirtschaftliche Wettbewerb wird als moralisch gesehen und überhöht. Gern beruft man sich auf Joseph Schumpeter mit seinem unseligen Spruch von der „schöpferischen Zerstörung“. Dass Detroit zur Zeit ziemlich vor die Hunde geht, weil die SUV-Mode bröckelt und Toyota’s Prius ständig Marktanteile gewinnt, kratzt außer ein paar Lokalpolitikern niemand.
Entlehnt ist diese extreme Form der Wettbewerbs-Denke aus der biologischen Evolutionstheorie von Charles Darwin. Darwin und Schumpeter in der Comic-Karikatur, das konvergiert zu einer gnadenlosen Welt, einer Welt ohne Hoffnung für die Schwachen. Hier liegt vermutlich einer der tieferen Gründe, weshalb selbst gebildete Kirchenleute im amerikanischen „Bibelgürtel“ die als sinnleer erscheinende darwinistische Evolution dermaßen scharf ablehnen.
Solche Christen heißen „Kreationisten“. Sie sehen die Schöpfung als das „intelligente“ Werk des Schöpfergottes an: intelligent design.
Das Irre an der Sache ist, dass dieser christliche Gegenentwurf zum Darwinismus ebenfalls mit Todessehnsuchtsphantasien und Leichtfertigkeit gegenüber dem Kriegführen und der Umwelt einhergeht. Unter den christlichen Fundamentalisten erwartet man das Jüngste Gericht. Man sagt, es kommt bald, und dann wird der Herrgott die Guten von den Bösen scheiden.
Wer so denkt, dem kann jeder „gerechte Krieg“ nur recht sein. Er sortiert schon mal Gute und Böse hienieden. Und wenn Gott beim Jüngsten Gericht auch seine Schöpfung wieder zu sich nimmt, wozu sollen wir dann Umweltschutz machen? Der inzwischen glücklicherweise aus der Politik ausgeschiedene ehemalige Mehrheitssprecher im Kongress, Tom DeLay verglich die Umweltbehörde EPA mit der Gestapo, weil sie seinem fundamentalistischen Kreuzzug im Wege stand.
Gibt es Auswege? Auf christlicher Seite bahnt sich ein Umdenken an. Der erzkonservative evangelikale Pfarrer Jim Ball brachte im Februar eine evangelikale Klimainitiative auf den Weg, mit ungewohnt scharfen Tönen gegen das Duo Bush-Cheney. Auch die christlichen Kriegsgegner werden immer mehr.
Umgekehrt wäre es einen Versuch wert, die Evolutionslehre (und die Ökonomie!) von ihrem sozialdarwinistischen Ballast zu befreien. Schließlich ist die Entstehung biologischer Vielfalt nicht zu erklären, wenn es nur Selektion gibt, also Verminderung von Vielfalt. Das Wunder der Evolution ist nicht das Überleben der Tüchtigsten, sondern das millionenfache Überleben von weniger „Tüchtigen“. Rezessive Erbmerkmale sind fast automatisch vor der Ausrottung geschützt. Barrieren schützen regionale Sonderlinge. Und Symbiose ist die elegante gegenseitige Unterstützung von Spezies, die auf sich allein gestellt zu schwach wären.