Ja, natürlich sterben mehr Menschen (und Tiere und Pflanzen) an Kälte als an Wärme. Das wissen wir instinktiv alle. „Warm“ ist positiv besetzt, „kalt“ negativ. Wir reden von warmherzig und kaltherzig, von einer warmen und einer kalten Atmosphäre in Sitzungen, Gebäuden und Städten. Aber kann man daraus folgern, dass die globale Erwärmung halb so schlimm ist? Dass wir lieber das Geld in die Malariabekämpfung als in den Klimaschutz stecken sollen, wie uns der von Bjørn Lomborg organisierte „Kopenhagener Konsens“ nahe legt?
Nein, natürlich nicht! Die Fragen sind einfach falsch gestellt, in vielen Hinsichten. Zunächst handelt es sich bei Malariabekämpfung und Klimaschutz nicht um Alternativen wie bei einer Weggabelung, sondern um miteinander verträgliche gemeinsame Ziele wie Geld für Schulen und Geld für den Rechtsstaat. Ferner können klimabedingte Wetterkatastrophen in den Tropen die Malariabekämpfung erschweren. Und schließlich kann Klimaschutz eine exzellente, sich wirtschaftlich auszahlende Investition sein, – ähnlich wie Schulbildung oder Rechtsstaat.
Genau hier muss man sich mit Lomborg inhaltlich streiten. Obwohl er persönlich sehr sympathisch ist und ökologisch ziemlich vorbildlich lebt, hat er den fatalen Hang zur Verharmlosung, Vernachlässigung und Verdrehung von Tatsachen. Wenn er behauptet, die ökonomischen Schäden durch Klimawandel würden im ganzen 21. Jahrhundert bloß ein halbes Prozent des Bruttosozialprodukts ausmachen und der durchschnittliche Schaden einer Tonne CO2 sei mit 2 Dollar zu beziffern, dann ist das eine grobe Verharmlosung. Und wenn er gleichzeitig in den Bemühungen zum Klimaschutz nur die Kosten, nicht die Erträge beschreibt, ist das eine Verdrehung. In seiner Heimat Dänemark gibt eine eigene Webpage „Lomborg Errors“, die akribisch viele seiner Fehler aufspießt. Man könnte die Webseite auch „Lomborgs bequeme Unwahrheiten“ nennen. Denn bequem sind seine Verharmlosungen vor allem für die, die ihre trüben Geschäfte ungestört weiter betreiben wollen.
Die eigentliche Antwort auf Bjørn Lomborg sollte bei allem Ärger über seine hoch problematischen Aussagen nicht das Aufspießen seiner Fehler sein, sondern ein Gegenentwurf, der zeigt, wie sich Klimaschutz schlicht lohnt. Das ist die Absicht des Buches „Faktor Vier“, das ich vor 12 Jahren mit Amory und Hunter Lovins geschrieben habe und das 50 Beispiele dafür präsentiert, wie man mindestens viermal so effizient mit Energie, Wasser oder Bodenschätzen umgehen könnte. Inzwischen ist eine völlige Neubearbeitung im Entstehen, mit dem neuen Titel „Faktor Fünf“, das noch etwas ehrgeiziger mit Effizienz und Produktivität umgeht.
Amory Lovins hatte schon in den 1970er Jahren die Fachwelt in Erstaunen versetzt, als er in „Soft Energy Paths“ die Chance der Energiewende beschrieb. In den 1980er Jahren kamen Probleme des Abfalls und der Wasserknappheit hoch, und Friedrich Schmidt-Bleek rief ein Programm der Verminderung der Stoffintensität um einen Faktor zehn aus. Das war die Vorlage für das „Faktor“-Denken: Man soll die Effizienz der Energie- und Rohstoffnutzung nicht um magere zehn oder zwanzig Prozent steigern, sondern um 300, ja 900 Prozent, – was dann einem Faktor vier bzw. zehn entspricht. Bei Energie und Verkehr ist das mit dem Faktor zehn meist unmöglich, und so kam der zahmere Titel Faktor vier zustande. Das wichtigste Feld ist die Energiesanierung von Gebäuden, aber auch Amory Lovins’ Hyperauto mit nur noch 1½ Litern Treibstoff pro 100 km oder die Viertelung des Transportaufwands bei der Herstellung von Erdbeerjoghurt (Stefanie Böge) oder die Wiederverwendung von Bauschutt, Metallen oder Wasser kamen im Buch zur Geltung.
Das neue Buch fügt noch Kaskadengewinne und Systemverbesserungen bei komplexen Abläufen hinzu und redet über die hierfür geeigneten ökonomischen Instrumente. Und es richtet den Fokus auch auf Asien, wo heute die große Dynamik des Ressourcenverbrauchs stattfindet. Neuer Ko-Autor ist der Australier Charlie Hargroves. Die Politik hat angefangen, diesen neuen Pfad der Modernisierung aktiv zu beschreiten. Ressourcenproduktivität ist in Deutschland, Japan, Singapur und auch in Gremien der EU heute schon offizielles Programm. Und der 11. Fünfjahresplan Chinas verlangt eine Erhöhung der Energieeffizienz um 20%. Fortgeschrieben auf sechs Fünfjahrespläne ist das schon ein Faktor drei.
Dieses Programm der dramatischen Verbesserung der Energieproduktivität kommt in Lomborgs Denken überhaupt nicht vor. Wenn die, die sich heute noch auf Lomborg berufen, vom Markt bestraft worden sind und wenn bedrohliche Änderungen der polaren Eisbedeckungen sichtbar werden, wird man den Streit unseres Jahrzehnts überhaupt nicht mehr verstehen. Und wenn der heute junge Bjørn Lomborg in 50 Jahren noch lebt, wird er sich mit Sicherheit nicht mehr nur persönlich, sondern auch politisch anständig verhalten und die Politik der klimafreundlichen Umsteuerung aus vollem Herzen unterstützen.