„Für die Umwelt kommt nichts dabei raus“, Interview in der Online-Ausgabe der BILD-Zeitung, 22.09.2019

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BILD traf von Weizsäcker, um über das Klima und das jüngst vorgestellte Klimapaket der Bundesregierung zu sprechen                                                             Foto: Fabian Matzerath

Artikel von: Karen von Guttenberg, Sören Haberlandt 22.09.2019 – 21:31 Uhr

Am Freitag hatte die GroKo das Klimapaket der Bundesregierung vorgestellt. Bahnfahren soll billiger werden, die Stromrechnung niedriger. Andererseits soll Fliegen, Heizen und Autofahren teurer werden. Schnell erntete das 23-Seitige Papier Kritik. Die Grünen und „Fridays for Future“ etwa halten das Paket für unzureichend, in der Presse wurde das Blatt zerrissen.

BILD traf Wissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker, um über das Paket zu sprechen.

Weizsäcker studierte Chemie und Physik, arbeitete unter anderem am UNO-Zentrum für Wissenschaft und Technologie in New York, von 1984 bis 1991 war er Direktor des Instituts für Europäische Umweltpolitik. 2002 bis 2005 war er Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Er ist Ehrenpräsident des Club of Rome, einer gemeinnützigen Organisation, die sich für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit einsetzt.

BILD: Beginnen wir mit der Erhöhung der Pendlerpauschale. Die Grünen sagen, das würde der Idee, den Verkehr zu entlasten, widersprechen.

Ernst Ulrich von Weizsäcker: „Die Grünen haben Recht. Das ist reine Sozialpolitik. Für die Umwelt kommt dabei nichts raus.“

Ist das Populismus? Oder wie sortieren Sie das ein?

Weizsäcker: „Das Volk mag es gern, wenn Autofahren billig ist. Wenn man das Populismus nennt, wenn man das tut, was das Volk will, dann ist das Populismus.“

Die Regierung plant Emissionshandel. Was bringt es, mit Emissionen zu handeln, statt auf sie zu verzichten?

Weizsäcker: „Emissionshandel ist so gemeint, dass es Emissionen vermindert. Aber wenn man zu viele Lizenzen ausgibt und die womöglich auch noch verschenkt, wie 2003 beim europäischen Emissionshandel, dann bringt’s nix. Eine Emissionssteuer ist ehrlicher und wirksamer.“

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Gibt es einen Punkt in dem Klimapaket, von dem Sie sagen, der hat etwas mit Vernunft zu tun?

Weizsäcker: „Oh ja! Endlich kommt ein echter Preis auf die Klimaschädigung. Ich finde es auch richtig, dass man mit niedrigen Beträgen anfängt. Aber man müsste unbedingt anschließend jedes Jahr höher gehen. Ungefähr in dem Tempo, wie die Technik und unser Verhalten klimafreundlicher wird. Dann würden Hersteller, Ingenieure, Investoren und Konsumenten heute schon wissen, was ihnen in 5, 10, 20 Jahren blüht. Das wäre ungeheuer wirksam, aber zu keinem Zeitpunkt wirklich schmerzlich.“

Werden die Chinesen uns auch beim Thema Klima überholen?

Weizsäcker: „Wahrscheinlich! Ihr 13. Fünf-Jahres-Plan ist sehr ehrgeizig auch beim Klima. Wobei sie das an ihre Bevölkerung als Sauberkeit in den Städten verkaufen. Das will und versteht das Volk. Was ich unaufrichtig finde, ist, dass China zu Hause Klimaschutz macht und gleichzeitig in anderen Ländern haufenweise Kohlekraftwerke baut.“

Also können wir von den Chinesen auch in diesem Punkt etwas lernen?

Weizsäcker: „Wir können von ihnen lernen, wie schnell man die Autoflotte auf Elektro bringt. Aber die Chinesen sind wohl schon wieder einen Schritt weiter. Ich habe vor Kurzem einen Artikel von vier Chinesen gelesen, der sagt: ‚Elektro ist ja nur die zweitbeste Lösung, wir müssen zum Wasserstoffauto kommen.‘ Allerdings gibt es eine interessante Idee meines Freundes Franz Josef Radermacher aus Ulm, der sagt, ein klimaneutraler Verbrennungsmotor ist möglich. Wir nehmen Sonnenenergie aus sonnenreichen Gegenden oder Windenergie aus der Nordsee. Damit spalten wir das Wassermolekül H2O in H2 (Wasserstoff) und O2 (Sauerstoff). Das O2 macht Luftverbesserung und das H2 ist ein toller Brennstoff. Aber für Autos ziemlich umständlich. Bequemer wäre es, man bindet das H2 mit aus der Luft eingefangenem CO2. Es entsteht CH2OH. Das ist Methanol. Und das ist praktisch so gut wie Benzin. Man kann es als Treibstoff für einen Verbrennungsmotor verwenden. Das wäre klimaneutral, denn man hat ja vorher das CO2 eingefangen. Das hätte den Vorteil, dass man nicht die ganze Infrastruktur und Technologie der Verbrennungsmotoren plattmachen muss, um klimaneutral zu sein.“

Zurzeit ist ja der Elektromotor hoch im Kurs.

Weizsäcker: „Der Elektromotor ist natürlich besser als der mit fossilem Öl laufende alte Motor. Besser ist der Brennstoffzellenmotor mit Wasserstoff oder Methan. Und bequemer ist der Verbrennungsmotor mit klimaneutralem Methanol. Allerdings haben wir einen Welttrend der Elektrifizierung. Da darf sich Deutschland nicht ausklinken.“

Da schließt sich der nächste Punkt aus dem Klimapaket an: billigere Fernzugtickets und höhere Luftverkehrssteuer.

Weizsäcker: „Das ist ungeheuer vernünftig! Das ist der beste Teil, der beschlossen worden ist. Denn wenn ich in Europa oder gar in Deutschland billiger fliege, als mit der Bahn zu fahren, dann ist was krank. Dass man dagegen politisch vorgeht, ist längst überfällig. Ein Bremsklotz war seit Jahrzehnten das Abkommen von Chicago von 1944. Das verbietet das Besteuern von internationalem Flugbenzin. 1944 war noch die Zeit von Charles Lindbergh, wo man ein berühmter Mann werden konnte, wenn man einmal über den Ozean flog.“

Das hat schon etwas von einem Schildbürgerstreich …

Weizsäcker: „Absolut. Aber die Flugzeuglobby, die Ferienlobby, die Australier- und Seychellen-Leute, die lieben das Chicago-Abkommen. Ist doch klar. Aber es ist grotesk, wenn wir bei der Autofahrt von Cottbus nach Berlin Benzinsteuern zahlen und der Luxusurlauber, der auf die Seychellen fliegt, zahlt keine Treibstoffsteuer.“

Wenn Sie diese Einzelmaßnahmen des Klimapakets sehen – welche Handschrift von welcher Lobby sehen Sie darin?

Weizsäcker: „Ich glaube, dass der Begriff Lobby die Sache nicht wirklich trifft. Natürlich haben die auch ihr Interesse. Aber ich habe das Gefühl: Es ist eher die Angst der CDU und SPD vor der AfD. Denn die AfD ist ja gegen alle Kosten für den Klimaschutz. So einfach ist das. Die Wahlen in Ostdeutschland waren eine böse Bremse für den Klimaschutz. Das ist sehr erschreckend für Deutschland und für unsere Kinder und Enkel – und für die Gehirne der AfD-Strategen und für die, die ihnen auf dem Leim gehen. Ich will die Lobbies nicht kleinreden, aber Wählerinnen und Wähler haben in der Demokratie mehr Macht.“

Frau Merkel leitete die Verkündung des Pakets auch erst mit Worten der Naturwissenschaftlerin, die sie ist, ein und drückte viel Verständnis für Greta Thunberg aus. Dann sprach sie als Politikerin vom politisch Machbaren …

Weizsäcker: „So ist die Demokratie. Und durch die sozialen Medien ist die Bereitschaft, was Längerfristiges in der Politik zu machen, beinahe kaputtgegangen.“

Ist das Klimapaket auch Opfer dieser Kurzfristigkeit geworden und gibt es demzufolge keinen richtigen Klimaschutz?

Weizsäcker: „So ist es. All die vielen Einzelmaßnahmen und Subventionen sind ein Versuch, dem Volk mitzuteilen, dass man an alles gedacht hat, um niemandem wehzutun. Wir Wissenschaftler haben die Aufgabe, auch an die gigantischen Langfristschäden zu denken, an die die Twitterer lieber nicht denken.“

Kommen bei uns die Veränderungen nur, wenn sich die Regierung verändert?

Weizsäcker: „Naja, Rot-Grün wäre mir lieber. Aber das Volk, zu dem eben auch die Millionen von AfD-Wählern gehören, will genau das nicht. Das Strukturproblem, dass Langfristpolitik eher unpopulär ist, wird durch Neuwahlen und Regierungswechsel nicht gelöst. Deswegen arbeite ich an Vorschlägen, die heute nicht wehtun, aber dennoch sehr wirksam sind. So verstehe ich auch das Klimapaket. Bloß ist es mir zu kleinteilig geraten.

Also die GroKo beenden?

Weizsäcker: „Dem Klima würde das nicht helfen. Denn wer würde danach regieren? CDU mit FDP und mit Duldung der AfD? Und seien wir doch mal ehrlich: Welches Industrieland wird heute besser regiert als Deutschland? In Polen, USA, Russland, Japan, Südkorea spielt das Thema Klima kaum eine Rolle. Andere Industrieländer haben große wirtschaftliche Schwierigkeiten. England spinnt. Sich an der Macht zu halten und ernsthaft etwas für die zukünftigen Generationen zu machen, ist halt sehr schwierig.“

Ein weiterer Punkt im Klimapaket lautet: Einbauverbot für neue Ölheizungen ab 2025. Was halten Sie davon?

Weizsäcker: „Das kann man machen. Aber dann doch besser einige Jahre früher.“

Zurück zum Anfang: „Fridays for Future“. Was halten Sie von dieser Bewegung?

Weizsäcker: „Sie war überfällig. Sie konnte erst im Katastrophenjahr 2018 politisch wirksam werden. Nur zwölf Monate vorher hätte niemand Greta Thunberg zugehört. Und weil die Sorge vor dem Meeresspiegelanstieg, großen Waldbränden wie jetzt in Sibirien oder Brasilien, vor großen Ernteausfällen und unerträglichen Temperaturen in der Öffentlichkeit groß geworden ist, nehme ich an, dass das Thema wirklich bleibt und die Menschen nicht aufhören, es ernst zu nehmen. Und wenn Klima-Fakten und Prognosen im Volk voll ankommen, dann hat ‚Fridays for Future‘ die Kraft einer großen, neuen Partei. Und wenn die Frage kommt: Haben die eigentlich recht? Muss ich ein intensives Ja zur Antwort geben. Sie haben recht.“

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Dann stimmen Sie Luisa Neubauer zu, die sagte: Das Klimapaket ist kein Durchbruch, sondern ein Skandal?

Weizsäcker: „Ich rede nicht von Skandal. Denn der Skandal würde ja auf das Wahlvolk zurückfallen. Aber Luisa Neubauer darf das natürlich so ausdrücken. Meine Redeweise ist eher: Jetzt Ärmel hochkrempeln und denkt euch was aus, was nicht ganz so populär ist und dem Volk nach dem Mund redet. Aber trotzdem wirksam.“

Wie schnell müsste denn ein Klimapaket 2 kommen?

Weizsäcker: „Meine Antwort ist verwandt mit der Antwort von Ministerpräsident Laschet (NRW, Anm. d. Red.): Warum sitzen der Entwicklungs- und der Außenminister nicht im Klimakabinett? Die Dramatik der Kohleverbrennung und Waldrodung ist weniger in Deutschland als in Afrika, Asien, Südamerika und peinlicherweise den USA. Wenn man ein Paket 2 macht, dann muss das auch ein außenpolitisches sein.“

Zum Schluss: Ist der Name Klimapaket eigentlich in irgendeiner Form haltbar?

Weizsäcker: „Ich würde es Ansatz zu einem Klimapaket nennen.“