Dieser Tage verkündete die chinesische Führung, bei der Luftverschmutzung in ihrem Land sei der Höhepunkt überschritten. Saubere Technologien wie die Abgasreinigung bei Kraftwerken und Autos setzten sich jetzt durch. Man wird an die Entwicklung in Europa erinnert. Wir fingen arm und sauber an, dann kam die Industrialisierung und machte uns reich und schmutzig. Und dann waren wir reich genug, um uns den teuren Umweltschutz leisten zu können, und wir wurden reich und sauber.
Man nennt diesen Vorgang die Kusnetskurve der Verschmutzung. Sie steckt tief im Bewusstsein vieler Entscheider in China. Sie wird auch auf das Klimaproblem abgebildet: „Wir werden uns um den Klimaschutz kümmern, sobald wir ihn uns leisten können.“ Leider kann die Welt nicht so lange warten. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass China und Indien und all die anderen den Umweg über den Energie verschwendenden Wohlstand gar nicht erst machen.
In Heiligendamm versuchte Bundeskanzlerin Angela Merkel, den chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao sowie den indischen Ministerpräsidenten Manmohan Singh zum Mitmachen beim Klimaschutz zu bewegen. Auch Präsident Bush hat größtes Interesse am Mitmachen der Chinesen und Inder. Denn als der US-Senat 1997 kurz vor Kyoto über den Klimaschutz debattierte, kam eine einstimmige Resolution heraus, bei einem möglichen Kyoto-Protokoll nur dann mitzumachen, wenn die großen Entwicklungsländer mit im Boot seien.
Dieser Wunsch wird uns aber nicht erfüllt. Jedenfalls nicht so schnell. Nicht dass China oder Indien keinen Klimaschutz wollten, aber beide wissen, dass die Pro-Kopf-Beiträge zur globalen Erwärmung in den reichen Staaten viel höher sind als in China und Indien. Auch wenn China demnächst die USA als größter Emittent überholt, bleiben die Pro-Kopf-Emissionen in den USA viermal größer. In China hat man außerdem andere Sorgen. Bei einem Wachstum von zehn Prozent jährlich nimmt die Zahl der Arbeitsplätze nur um zwei Prozent zu. Das ist viel zu wenig, um die Vision der „harmonischen Gesellschaft“ zu verwirklichen, die sich Hu Jintao zum Ziel gesetzt hat. Der Abstand zwischen Arm und Reich ist in der Zeit des stürmischen Wachstums aufgerissen wie in fast keinem anderen Land der Erde. Die Führung sieht die sozialen Spannungen und ist tief besorgt. Die „harmonische Gesellschaft“ ist eine Notwendigkeit für die politische Stabilität in einer Zeit der Öffnung.
Das Abschlussdokument von Heiligendamm enthält die bemerkenswerte Aussage, dass 80 Prozent der nötigen Klimaschutzmaßnahmen durch Effizienzverbesserungen erreicht werden können. Wie wahr! Für China gilt das erst recht. Hier liegt eine hervorragende Chance der bilateralen Zusammenarbeit. Bundespräsident Köhler hat dieses Thema bei seinem Chinabesuch mehrfach angesprochen, aber deutsche Patent- und Verfahrensinhaber haben dazu keinen Anreiz. Den müssten wir also schaffen, und sei es durch Joint-Ventures.
China macht im Übrigen große eigene Anstrengungen. Eine ist die Geburtenkontrolle. In Peking sagte mir ein Gesprächspartner: Ohne unsere Einkindpolitik hätten wir heute 400 Millionen zusätzliche Chinesen – mit den entsprechenden Ansprüchen an klimabelastenden Wohlstand. Noch näher an unserem eigenen Denken ist die Steigerung der Energieeffizienz.
Im elften Fünfjahresplan, der seit dem Jahr 2006 gilt, wird eine Verminderung der Energieintensität der chinesischen Wirtschaft um zwanzig Prozent bis zum Jahr 2010 angepeilt. Auf diesen Plan angesprochen, sagen einem aber die Insider in China, leider werde das Ziel in der Praxis verfehlt. Warum, das erfährt man bei solchen Gesprächen auch: das Land befinde sich in einer stürmischen Phase des Baus von Wohnungen und der Errichtung einer Infrastruktur. Diese Phase sei unvermeidlich energieintensiv. Wenn aber die Grundstruktur einmal da sei, werde der Energieverbrauch drastisch abnehmen. Keine ganz befriedigende Entschuldigung, wenn man sieht, was für eine amerikanisierte Art der Infrastruktur da aufgebaut wird.
China hatte auch den Plan, das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz zu übernehmen. Doch kurz vor dem Ziel ist der Plan gekippt worden. Keiner konnte mir sagen, wieso. Man mutmaßt, dass auch in China die großen Energieversorger politischen Einfluss haben, und die wollen das Gesetz nicht. Kommt mir irgendwie bekannt vor.
Im wesentlichen wortgleich abgedruckt in: Stuttgarter Zeitung Nr. 135, Freitag, 15. Juni 2007.