Stuttgarter Zeitung, 25.07.2005
Warum Ernst Ulrich von Weizsäcker nach Kalifornien gehen möchte und nicht im Zorn scheidet
Sieben Jahre als SPD-Bundestagsabgeordneter für Stuttgart und eine lange akademische Karriere hat er hinter sich, bald könnte es Ernst Ulrich von Weizsäcker nach Kalifornien, an die Pazifikküste ziehen. Nur der Umwelt zuliebe?
Von Wolfgang Borgmann
Er hat dem Kanzler und seinem Parteischef den Rücken zugekehrt, so scheint es. Hinter seinem Rücken läuft der Fernseher mit Bildern von Schröder und Müntefering, die unverdrossen den Kurs ihrer Partei verteidigen. Ernst Ulrich von Weizsäcker aber erzählt von Kalifornien, davon, dass, wenn er aus dem Haus des Dekans tritt, er das Wasser in dreißig Meter Entfernung vor sich sieht. Es wäre wahrlich ein schönes Plätzchen für einen Ruheständler dort, wo die Universität von Santa Barbara liegt. Ein steter Wind sorgt dafür, dass es an diesem gesegneten Ort im sonnigen Südkalifornien nicht zu heiß wird.
Mit 66 Chance auf Spitzenposten
Vom Ruhestand, so wird im Gespräch im Stuttgarter Bahnhofsrestaurant schnell deutlich, will der Bahnfahrer von Weizsäcker nichts wissen. Ganz im Gegenteil, er findet das „Fallbeil“, das in Deutschland mit 65 Jahren auf den normalen Arbeitnehmer niederzusausen pflegt, schrecklich. Und von Weizsäcker ist am 25. Juni bereits 66 geworden. In Deutschland hätte er auf einen akademischen Spitzenposten wohl keine Chance.
Das scheint in Amerika anders zu sein. Als ein Headhunter, ein akademischer Kopfjäger, per E-Mail nicht ganz zufällig bei Weizsäcker anfragte, ob der sich nicht für den freiwerdenden Posten als Dekan in Santa Barbara bewerben wolle, da habe er dies, nach Absprache mit seiner Frau Christine, ebenfalls eine Biologin, getan. Und er wurde, nach eingehenden Gesprächen mit dem Auswahlkomitee und einem potenten Mäzen, auch für gut befunden. Zwar brauchen auch in Amerika bürokratische Abläufe ihre Zeit, aber es sieht ganz so aus, als könne das Ehepaar Weizsäcker das neue Jahr am Pazifik verbringen.
Schaut man sich den Lebenslauf Weizsäckers an, dann wird deutlich, dass die Position als Dekan der Donald Bren School for Environmental Science and Management für ihn maßgeschneidert sein dürfte. Weizsäcker ist diplomierter Physiker und promovierter Biologe, ein ausgewiesener und international anerkannter Umweltexperte; er hat sich früh schon mit Reformkonzepten für Universitäten befasst und sie, wie zum Beispiel beim Aufbau der Umweltwissenschaft an der Universität Essen, auch umgesetzt, war Direktor an einem UN-Zentrum für Wissenschaft und Technik in New York und schließlich mehr als zehn Jahre Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt und Energie, bevor er beschloss, in die Politik zu gehen, die er vorher wiederholt beraten hatte.
Nach sieben Jahren parlamentarischer Kärrnerarbeit in Bonn, Berlin und Stuttgart hat der Exot unter den Berufspolitikern zwar einiges in der Umweltpolitik erreicht, aber es war, wie er sich ausdrückt, „ein Tropfen auf dem heißen Stein“. Er hält es nach wie vor für einen fundamentalen Fehler zu glauben, man könne sich eine konsequente, die Rohstoffe schonende Umweltpolitik in Zeiten des wirtschaftlichen Mangels nicht leisten.
Aber er gehe nicht, wie er versichert, „resigniert“, dafür sei er zu sehr Optimist. Er spart nicht mit Lob für Stuttgart und seine Parteikollegen. Und warum dann ausgerechnet nach Amerika? Weizsäcker zieht aus seiner Tasche ein Papier mit einer Rede des kalifornischen Gouverneurs Arnold Schwarzenegger, der, ganz anders als Parteifreund Bush, den Ausstoß von klimarelevanten Gasen weiter drastisch reduzieren will.
Sätze wie „Kalifornien wird beim Kampf gegen den Klimawandel und für den Umweltschutz an vorderster Front dabei sein“ dürften Weizsäcker erfreuen, auch wenn er als ein Fan des ehemaligen Actionschauspielers schwer vorstellbar ist. Kalifornien war immer schon umweltbewegt, und schon 1991 wurde an der staatlichen Universität von Kalifornien in Santa Barbara eine eigene Fakultät für das Studium und das Management von Umweltfragen gegründet.
Der Makler, Milliardär und Umweltschützer Donald Bren bedachte diese Einrichtung mit 20 Millionen Dollar, gab ihr seinen Namen und dürfte bei dem Vorschlag, Weizsäcker zum Dekan einer Fakultät mit 18 Professoren und 170 Studenten sowie Doktoranden zu machen, ein gewichtiges Wort mitgesprochen haben.
Was Ernst Ulrich von Weizsäcker an der neuen Aufgabe faszinieren dürfte, ist nicht nur die Nähe des Pazifiks. Die Studiengänge sind konsequent interdisziplinär, Theorie und Praxis gekonnt miteinander verbunden. Absolventen kommen überall unter, auch in der Industrie. Schließlich gehört die Universität von Santa Barbara zu den besten in Amerika. Kein schlechter Platz für einen von Weizsäcker. Auch wenn dieser einräumt, er wäre „selbst bei einem halb so guten Angebot“ im Lande geblieben. Aber wer nimmt denn schon einen in Deutschland mit 66?