Dass sich die weltweite Ressourcenproduktivität um mindestens 75 bis 80 Prozent steigern lässt, das zeigen die Autoren im ersten Teil an Wirtschaftssektoren, die den höchsten Verbrauch an Energie, Wasser sowie Rohstoffen haben – und sehr hohe Treibhausgas-Emissionen aufweisen. Dies sind die Bereiche Gebäude, Stahl und Zement, Landwirtschaft und Verkehr. Detailliert wird erklärt, wie groß die „Effizienzrevolution“ ausfallen kann, wenn alle technischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Den zweiten Teil hat Ernst Ulrich von Weizsäcker alleine geschrieben: Er diskutiert die politische Umsetzung, wobei es u. a. um ökonomische Instrumente und eine „langfristig angelegte ökologische Steuerreform“ geht. Er fordert eine „genügsamkeitsorientierte Kultur“, die an die Stelle einer einseitigen Wachstumspolitik treten soll. Utopia sprach mit Ernst Ulrich von Weizsäcker.
Utopia: Warum heißt Ihr Buch „Faktor fünf“?
Ernst Ulrich von Weizsäcker: Das hat mehrere Gründe: Zum einen sind wir ein bisschen ehrgeiziger geworden, zum anderen wendet sich das Buch besonders an chinesische Leser. Es wir gerade ins Chinesische übersetzt. Auf Chinesisch klingt „vier“ so ähnlich wie „Tod“. Da sagten mir Chinesen: Du kannst ein Buch nicht „Faktor vier“ nennen, das klingt wie „Faktor Tod“. Sie schlugen dann vor, das Buch „Faktor acht“ zu nennen, weil das eine Glückszahl ist. Das war mir aber zu ehrgeizig (Anm. d. Red.: 1995 veröffentlichte v. Weizsäcker mit Kollegen das Buch „Faktor vier. Doppelter Wohlstand – halbierter Naturverbrauch“).
Das Buch heißt „Faktor Fünf“, weil wir fünfmal so viel Wohlstand aus einer Kilowattstunde rausholen wollen – oder aus einer Tonne Kupfererz, oder einem Kubikmeter Wasser. Zum Beispiel verbraucht ein Passivhaus bei hohem Wohnkomfort, guter Lüftung und Temperatur nur 1/8 bis 1/10 der Energie, die ein normaler Altbau nötig hat. Der Hauseigentümer zahlt am Ende nur 1/8 oder 1/10 der Heizkosten. Und das amortisiert sich in zehn bis 20 Jahren. Es geht also um Ressourcenproduktivität: Das bedeutet, mehr Wohlstand aus einer Einheit Ressource, aus Energie, Wasser oder Mineralien herauszuholen. Das ist so ähnlich wie bei der Arbeitsproduktivität, bei der wir gelernt haben, aus einer Stunde menschlicher Arbeit immer mehr Wohlstand zu erwirtschaften.
Sie haben eine eigene Hypothese formuliert, wie es zur gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen ist. Wie hängen Flächenverbrauch und Benzinpreis mit der Blase zusammen, die in den USA am Immobilienmarkt geplatzt ist?
Ich habe das selbst erlebt, ich habe in dieser Zeit in den USA gelebt. Die US-Amerikaner hatten sich in der Zeit von Ronald Reagan in den Kopf gesetzt, dass Benzin immer so billig wie möglich sein muss. Dann waren in diesen zwei Jahrzehnten die Spritpreise sehr niedrig, die Pendler-Entfernungen haben sich dadurch in den USA nahezu verdoppelt – und es hat eine gewaltige Landnahme stattgefunden: Immer weiter draußen haben die Leute ihre Häuser gebaut. Als 2006 und 2007 die Ölpreise in die Höhe schossen, mussten viele Amerikaner ihre Häuser verlassen und in Wohnwagen umziehen, in der Nähe ihrer Arbeitsstelle, weil sie sich das Pendeln nicht mehr leisten konnten.
Schließlich wurden alle auf Pump gebauten Häuser weniger wert – und die nachrangigen Hypotheken hatten nur noch Papierwert. Auf einmal gab es gigantische Milliarden-Verluste, die ganze Finanzwelt war aus den Fugen. Das wurde praktisch alles durch den Wertverlust von Häusern ausgelöst, die nur dann einen Wert hatten, als das Benzin nichts gekostet hat. Die Presse tut aber so, als ob das alles gierige Banker gewesen wären. Das ist eine viel zu einfache Darstellung.
Was verstehen Sie unter dem „Rebound-Dilemma“?
In den USA, aber auch in anderen Ländern haben wir erlebt, wie alle Effizienzgewinne aus den 1970er Jahren später wieder verfrühstückt worden sind. Diese Effizienzgewinne entstanden unter dem Eindruck hoher Energiepreise. Danach war Energie nicht mehr teuer, und die Leute haben die Effizienzgewinne genutzt, um immer mehr zu konsumieren. Durch Umwelt-Standards wurde zwar der Mittelklassewagen doppelt so effizient wie früher, aber die Amerikaner hatten dann die Botschaft: „Jetzt könnt Ihr für einen Dollar doppelt so weit fahren“. Genau das haben sie gemacht. Das bedeutet: Für den Klimaschutz oder Schutz der knappen Ressource Öl ist überhaupt nichts übrig geblieben. Der „Rebound“- oder Bumerang-Effekt bedeutet, dass die Effizienz lediglich für zusätzlichen Konsum eingesetzt wird.
Das ist ein uraltes Phänomen: William Stanley Jevons hat es schon 1865 in seinem Buch „The Coal Question“ beschrieben. Der Ökonom sagte, dass die Dampfmaschine von James Watt, zwei Generationen früher, die Kohle-Effizienz gegenüber den vorherigen Maschinen etwa vervierfacht hat. Das führte aber nicht zu einer Verminderung des Kohlebedarfs, sondern zu einer Verzehnfachung. Denn Kohle war elegant und billig einsetzbar – und hat tausendfach neue Anwendungen gefunden.
Wie kann eine „Langfrist-Ökosteuer“ helfen, dieses „Rebound-Dilemma“ zu lösen?
Wir schlagen in dem Buch eine langfristige Verteuerung des Energieverbrauchs vor: Jedes Jahr oder alle fünf Jahre sollten die Energiepreise in dem Umfang angehoben werden, wie in der vorangegangenen Periode die Effizienz zugenommen hat. Dann braucht keiner befürchten, dass die Leute arm werden, im Gegenteil: Das Land wird insgesamt reicher, wenn es weniger Geld nach Saudi-Arabien fließen lässt, weil es diese Summen stattdessen in einheimische Ingenieure investiert.
Sie plädieren für eine „genügsamkeitsorientierte Kultur“. Welche Rolle spielt die Genügsamkeit (Suffizienz) in Ihrem Konzept der Nachhaltigkeit?
Selbst mit teurer Energie und hoher Effizienz würde irgendwann das Wohlstands- oder Verbrauchswachstum alle ökologisch sinnvollen Barrieren überwinden. Es sei denn, wir lernen mit etwas weniger Verbrauch glücklich zu sein. Das nenne ich Genügsamkeit. Ganz am Schluss des Buches kommt eine für US-Amerikaner bestürzende Tatsache zur Sprache: Franzosen investieren doppelt soviel Zeit und vermutlich auch Geld ins Essen wie die Amerikaner – und trotzdem gibt es in Frankreich praktisch keine Fettsucht, die in Amerika ungeheuer verbreitet ist. Da stellt sich die Frage: Wer hat mehr Lebensfreude und Lebensvergnügen? Die Franzosen oder die Amerikaner? Die Franzosen, die weniger Kalorien in sich reinstopfen, aber das Ganze mit viel Zeit, Geld und Kultur praktizieren? Oder die Amerikaner, die mit fetthaltigem Fastfood glücklich sind und sehr viel mehr Energie dabei verbrauchen? Meine Antwort ist eindeutig: Die glücklicheren Menschen sind die Franzosen, die mehr Lebensfreude haben – bei einer Form der Genügsamkeit, bei der niemand auf die Idee kommt, das Genügsamkeit zu nennen, sondern da heißt es Lebensfreude.
Sie schreiben ja auch von einer „Politik der BIP-Verkleinerung“, also einer Senkung des Bruttoinlandsprodukts.
Die Ökonomen haben bisher im Wesentlichen gelernt, den Umsatz zu messen. Das BIP ist ein Umsatz-Maßstab, indes kein Maßstab für Lebensqualität. Solange die Leute arm sind, ist natürlich jeder zusätzliche Umsatz ein Gewinn an Lebensqualität. Aber angesichts des Reichtums, den sehr viele von uns haben, hat zusätzlicher Umsatz nichts mehr mit Wohlergehen zu tun. Das heißt, wir brauchen einen besseren Maßstab dafür, was wir wollen. Wir sollten doch nicht nach einer Zielmarke segeln, die vor 100 Jahren richtig war – und heute falsch ist.
In Ihrem Buch steht der Satz: „Es geht bei alledem darum, das Prinzip Nachhaltigkeit im täglichen Konsumverhalten zu verwirklichen“. Wie sieht bei Ihnen zu Hause der nachhaltige Konsum aus?
Wir beziehen unsere Nahrungsmittel von einem lokalen und ökologischen Lebensmittelgeschäft und gehen auf den Markt. Wir leben mit der Familie unserer Tochter zusammen, die drei kleine Kinder hat, aber trotzdem kein Auto. Unser Haus ist ein Passivhaus. Aber ich sündige ständig, indem ich nach China oder Kalifornien fliege, um dort mit Leuten über Ressourceneffizienz zu reden. Aber es scheint, dass jeder meiner Flüge nach China dort Auswirkungen hat – besonders wenn das Buch „Faktor fünf“ dann bald auf Chinesisch erscheint.
Artikel im Original auf Utopia