Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, 24. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 03. März 1999
(BT-Plenarprotokoll 14/24)
Vizepräsident Rudolf Seiters:
Ich gebe das Wort für die SPD-Fraktion dem Kollegen Ernst Ulrich von Weizsäcker.
Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (SPD):
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich betrachte die zweite und dritte Lesung des Einstiegs in die ökologische Steuer- und Abgabenreform als eine historische Stunde.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Vor etwa 100 Jahren wurde die Einkommensteuer eingeführt. Vor ungefähr 30 Jahren wurde die Mehrwertsteuer eingeführt. Was gab es damals jeweils für ein Gezeter und für eine Menge von Schwierigkeiten! Ich leugne nicht, daß auch der Einstieg in die ökologische Steuerreform von Schwierigkeiten und im übrigen auch von Fehlern begleitet war.
(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Murks bleibt Murks!)
Wir versuchen nun, das Dilemma, in welchem die ökologische Steuerreform unvermeidlicherweise steckt, zu lösen.
(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Da helfen keine Pillen!)
Was ist das Dilemma? Das Dilemma ist dies: Wenn man irgendeinen Satz festlegt – bei Benzin, bei Strom – und glaubt, das könne man nun auf längere Zeit aufrechterhalten, dann hat man schon verloren; denn entweder ist dieser Satz sehr niedrig. Dann hat er keine oder nur eine sehr geringe Lenkungswirkung. Oder der Satz ist sehr hoch; dann ist man politisch im Abseits. Aber auch jeder Wert dazwischen ist vergiftet. Stellen wir uns vor, wir würden zum Beispiel den Preis für den Liter Benzin um 50 Pfennig erhöhen. Dann hätten wir bereits einen politischen Orkan, aber immer noch eine sehr bescheidene ökologische Lenkungswirkung. Das heißt also, das Dilemma liegt darin,
(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Daß die Leute es nicht merken sollen!)
daß in unserer Vorstellungswelt von Steuern immer ein Wert festgelegt werden soll. Wenn man es – wie ich gesagt habe – dabei beließe, hätte man schon verloren.
Frau Kollegin Hasselfeldt, Herr Kollege Thiele, Sie haben trivialerweise recht, daß die erste Stufe eine fast unmerkliche ökologische Lenkungswirkung hat.
(Zuruf von der CDU/CSU: Dann lassen Sie es doch!)
Die Frage ist nur: Wie kommen wir aus dem Dilemma heraus?
(Zuruf von der CDU/CSU: Dagegen stimmen!)
Anders als bei anderen Gesetzesvorhaben geht es bei uns um einen Einstieg in eine langfristige Entwicklung.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Das ist, wie zum Beispiel die Kollegen Loske und Müller in der ersten Lesung schon gesagt haben, ausdrücklich unser Ziel. Das kann man so einrichten, daß weder soziale Härten, Herr Kollege Gysi, noch Wettbewerbsprobleme, Herr Kollege Thiele, noch ein Ausbleiben der ökologischen Lenkungswirkung eintreten. Vielmehr hat man langfristig eine enorme ökologische Lenkungswirkung weitgehend ohne Schmerz.
Wir haben das zum Beispiel in den späten 70er Jahren beim Abwasserabgabengesetz erlebt. Da haben wir im Jahr 1976 ein Gesetz beschlossen, welches die ersten vier Jahre den Abgabensatz von Null hatte – definitionsgemäß kein Schmerz –, aber die Ankündigung enthielt: Ab 1980 geht es los. Nachträglich hat Professor Hansmeyer, der Erfinder dieser Abgabe, festgestellt, daß der bei weitem größte Teil der Anpassungsinvestitionen zwischen 1976 und 1980 geschah,
(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Richtig!)
also als der Schmerz bei Null war. Es ist also einfach unwahr, wenn man behauptet, die Sache habe nur dann Wirkung, wenn sie wahnsinnig weh tut. Soweit zu unserem Ziel.
Nun sind wir – damit richte ich mich ganz ausdrücklich an die Opposition – als Regierungsmehrheit mit einem neuen Dilemma konfrontiert.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja nicht das erste!)
Wenn wir den Pfad, von dem ich spreche, auf eine Legislaturperiode beschränken, dann bleibt der ökologische Lenkungseffekt auf jeden Fall sehr bescheiden. Erst wenn wir die Möglichkeit haben, über die Legislaturperiode hinauszugehen,
(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Und die Wahlen abzuschaffen!)
können wir die Lenkungswirkung erreichen,
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wie mit der Sektsteuer!)
die ökologisch dringend notwendig ist.
Ich gehe jetzt nicht in die an sich erforderliche Begründung der ökologischen Notwendigkeit – das würde heute zu weit führen –, aber zum Glück wird sie ja von niemandem in der Opposition ernstlich geleugnet. Wir müssen, um mit der Lenkungswirkung über die Grenze der nächsten Legislaturperiode hinauszukommen,
(Zuruf von der CDU/CSU: Die Wahlen gewinnen!)
in ein vernünftiges und konstruktives Gespräch zwischen Regierung und Opposition eintreten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das würde ich mir sehr wünschen. Ich sehe mit Freude, daß es auf seiten der Opposition dazu eine ganze Menge vernünftiger Elemente gibt, mit denen man sich ohne weiteres anfreunden kann, so zum Beispiel, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., mit dem, was Sie zur Entfernungspauschale sagen. Das hat nur den kleinen Nachteil – das wissen Sie auch –, daß damit nicht die Finanzierung einer Senkung der Lohnnebenkosten beabsichtigt ist. Aber vermutlich können wir uns auch bei diesem Problem zusammenfinden.
Wir sind überzeugt, daß der historische Moment des Einstiegs in die ökologische Steuer- und Abgabenreform kein parteipolitischer ist. Es geht um eine historische Notwendigkeit. Ich bin völlig sicher, daß diese Steuer jenseits aller Prognosen über künftige Wahlergebnisse erhalten bleibt.
Wir müssen uns jedoch mit den Widerständen auseinandersetzen; und deren gab es, wie Frau Hasselfeldt ausgeführt hat, viele – auch von einigen Experten. Zum Beispiel gibt es insbesondere von Industriekreisen die scharfe Schelte gegen die Verkoppelung von Energiesteuern und Senkung der Lohnnebenkosten. Es wird gefragt, was das miteinander zu tun hat. Darauf ist meine Antwort – Sie gestatten mir vielleicht, daß ich auf diesen Punkt etwas näher eingehe, weil ich das vor etwa 10 Jahren in die deutsche Diskussion hineingebracht habe –: Diese Verkoppelung ist um der breiten politischen Mehrheit willen notwendig.
Als vor über 10 Jahren über Ökosteuern diskutiert wurde, war die verbreitete Meinung, man brauche das ganze Geld für die ökologischen Wohltaten. So ähnlich hat es auch Frau Merkel heute nachmittag gesagt. Das ist aber ein Denkfehler. Damit bekommt man nicht das notwendige Paket, auf Grund dessen sich auch die Arbeitnehmerseite voll mit diesem Reformprojekt identifizieren kann.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es ist, wie Herr Minister Lafontaine richtig ausgeführt hat, in einer Situation eines Überschusses von Arbeit, einer hohen Arbeitslosigkeit, und eines eigentlich knappen Gutes Natur über alle Parteigrenzen hinweg erforderlich, die Kosten des Faktors Arbeit zu senken und die Kosten des Faktors Naturverbrauch zu erhöhen.
Man kann ja auch einwenden, Menschenrechte hätten nichts mit dem Chinahandel zu tun. Auch das ist – trivialerweise – richtig. Nur, es gehört eine bestimmte politische Einsicht dazu, zu erkennen, daß zwei Sachverhalte dadurch etwas miteinander zu tun haben, daß man sie politisch zusammenführen will. Genau das haben wir getan.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich gestatte mir im Anschluß an diese Bemerkung auf die Art der Lenkungswirkung einzugehen, die wir von der langfristigen Steuerreform erwarten. Sie soll für eine enorme Effizienzrevolution im Umgang mit den knappen natürlichen Ressourcen sorgen, für eine Steigerung der Energie- oder Materialeffizienz um 300 Prozent im Laufe von ungefähr 30 Jahren. Das wäre eine Steigerung um den Faktor vier. Sie ist ohne weiteres absehbar und würde uns an die Spitze des technologischen Fortschritts katapultieren. Sie ist ein Grund dafür, daß ein Land der Ingenieure und der Exporteure dringend daran interessiert sein muß – auch dies ist jenseits aller Parteigrenzen richtig –, sich mit diesem Projekt zu identifizieren.
Mir ist klar, daß der erste Einstieg in die ökologische Steuerreform noch mit Fehlern behaftet ist. Wir wollen diese korrigieren. Wir wollen sie an der Erfahrung korrigieren.
(Zuruf von der SPD: Genau!)
Aber die Erfahrung können wir nicht machen, wenn wir den Einstieg nicht wagen. Deswegen müssen wir heute den Einstieg beschließen.
Vielen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Rudolf Seiters:
Das war die erste Rede des Kollegen von Weizsäcker. Ich darf ihm dazu im Namen des Hauses gratulieren.
(Beifall im ganzen Hause)