Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, 243. Sitzung, Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002
(BT-Drucksache 14/9052)
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ernst Ulrich von Weizsäcker, SPD-Fraktion.
Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (SPD):
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! „Nachhaltige Entwicklung“ – darauf hat Herr Minister Trittin schon hingewiesen – ist für viele immer noch ein Fremdwort. Das darf es nicht bleiben. Aber auch das Wort „Demokratie“ war irgendwann einmal in Deutschland ein Fremdwort und dasselbe gilt auch für das Wort „Computer“. Wir werden und wir müssen uns daran gewöhnen. Schließlich steht hinter der nachhaltigen Entwicklung ein uraltes Prinzip: Auch an die Enkel denken. Das steht in der Bibel als Goldene Regel und hat nichts mit dem Parteienstreit zu tun.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Unser Antrag zielt nicht auf Parteienstreit. Er ist natürlich vor Bali formuliert worden. Besonders nach Bali müssen wir uns die Frage stellen, woher diese Stagnation eigentlich kommt. In der Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft“ sind wir der Idee auf der Spur, die Welt habe sich nach 1990 wesentlich in der Richtung verändert, dass die Anwälte der öffentlichen Aufgaben einschließlich Entwicklungshilfe und Umwelt eher ins Hintertreffen gekommen sind, während die Anwälte der privaten Anliegen, insbesondere die großen Konzerne, das Weltgeschehen dominieren.
51 der 100 größten Wirtschaftseinheiten der Welt sind heute nicht mehr Staaten, sondern Unternehmen, die nicht dem Gemeinwohl, sondern ihren Profitzielen verpflichtet sind.
Das ist ein Zitat, und zwar nicht aus der „Kommunistischen Plattform“, sondern aus dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion.
(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine neue Allianz! – Zurufe von der
PDS: Hört! Hört!)
Die Dominanz der Privatwirtschaft muss uns zu denken geben. Das von Professor Klaus Töpfer geleitete UNO-Umweltprogramm hat kürzlich einen Bericht mit dem Namen „GEO 3“ herausgegeben. In diesem Bericht werden vier verschiedene Szenarien betrachtet, darunter „Markets First“ und „Security First“, also Verlass auf die Märkte oder der absolute Vorrang für Sicherheit. Beide Optionen führen schnurstracks ins Verderben,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
weil die Märkte blind und taub sind, was die Umwelt angeht, und weil die Illusion der totalen Sicherheit alle Kräfte bindet, die man eigentlich woanders nötiger braucht. Besser steht es um die Welt nach dem UNO-Bericht bei „Policy First“, das heißt Politik wieder machen, und „Sustainability First“, das heißt Nachhaltigkeit als Zivilisationsmerkmal.
Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung ist ein guter Beginn. Den täglichen Flächenverbrauch auf ein Viertel zu reduzieren, das ist ein Wort! Fast noch wichtiger ist mir der erste der 21 Indikatoren: Wir müssen mehr Wohlstand aus einer Kilowattstunde oder einer Tonne Erz herausholen, das heißt, die Ressourcenproduktivität drastisch erhöhen, langfristig um einen Faktor vier. Daran führt kein Weg vorbei.
Manches muss in Johannesburg erst einmal ohne die Amerikaner laufen, die nämlich in Bali selbst diese Effizienzstrategien torpediert und sabotiert haben. Wir wollen, wie Reinhard Loske gerade gesagt hat, endlich eine schlagkräftige UNO-Umweltorganisation.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)
Frau Homburger, ich habe vorhin mit großem Amüsement Ihren schönen, in vielen Dingen völlig richtigen Antrag zu Johannesburg gelesen. Darin schreiben Sie: Man muss die Institutionen stärken, die für Umwelt zuständig sind. Sie nennen namentlich die Welthandelsorganisation, die WTO.
(Lachen bei der SPD – Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genauso ist das! – Birgit Homburger [FDP]: Das ist eine Aufzählung!)
Sic! Wir wollen eine zuverlässige und erhöhte Entwicklungshilfe. Wir wollen den Schutz der öffentlichen Güter sichern. Wir wollen, dass das Kioto-Protokoll, das Cartagena-Protokoll und die Arhus-Konvention endlich in Kraft treten. Und, meine Damen und Herren, wir stellen uns vor, dass unsere Enkel und Urenkel in Johannesburg mit am Tisch sitzen. Politik für die Urenkel, das ist nachhaltige Entwicklung!
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)