Auszug aus dem Plenarprotokoll 15/115, Deutscher Bundestag, Berlin, Freitag, den 18. Juni 2004
TOP 22: 2./3. Beratung des Gesetzes zur Neuordnung des Gentechnikrechts
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Ernst Ulrich von Weizsäcker, SPD-Fraktion.
(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Der hat Max Weber gelesen!)
Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (SPD):
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Der Kritik der Opposition an der außerordentlichen Eile muss ich mich anschließen;
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
sie war auch für uns im Umweltausschuss außerordentlich belastend. Ich muss allerdings den Vorwurf zurückweisen, das habe mit irgendeiner Art von Geheimhaltung zu tun. Es war einfach der Ablauf der Ereignisse, vom Einspruch des Bundesrates über die Antwort der Bundesregierung usw.; ich brauche das jetzt nicht weiter auszuführen. Wir alle hätten über den Gesetzentwurf lieber in Ruhe beraten.
Lassen Sie mich aber zum Inhalt kommen; das ist das Wichtigste. Ich will ihn aus zwei verschiedenen Blickwinkeln betrachten, zum einen aus dem ökologischen und zum anderen aus dem wissenschaftspolitischen.
Umweltbesorgnisse sind letzten Endes wohl der wichtigste Grund für die sehr große Zurückhaltung, die man der Grünen Gentechnik vielerorts entgegenbringt. Frau Dr. Happach-Kasan, die Verunsicherung geht nicht von Rot-Grün aus, sondern von der Sache.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Von Greenpeace!)
Es ist eindeutig, dass große Unsicherheit besteht – und zwar nicht nur im einfachen Volk, sondern auch unter den Spitzenwissenschaftlern –, was eigentlich die langfristigen Auswirkungen sind. Nun so zu tun, als gehe es um den Standort Deutschland, eine Durchbrechertechnologie, Schwellenüberwindung usw., ist, vorsichtig gesagt, mindestens gegen das Vorsorgeprinzip.
Weil die ökologischen Besorgnisse so weit verbreitet sind, behauptet nun umgekehrt die Befürworterseite immer wieder, die Grüne Gentechnik sei gut für die Umwelt.
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Stimmt ja!)
Dies habe ich versucht irgendwo in den verfügbaren Publikationen belegt zu finden und bin nicht fündig geworden. Selbstverständlich – das ist geradezu hineindefiniert – nimmt der Pestizideinsatz erst einmal ab, wenn man das Pestizid, zum Beispiel Bt-Toxin, in die Pflanzen hineinmanipuliert. Aber schon nach wenigen Wachstumsperioden sind wir wieder bei dem alten Pestizideinsatz angelangt.
(René Röspel [SPD]: So ist es!)
Das heißt, dieses Vorgehen hat überhaupt nicht geholfen. Dann kommt hinzu, dass sich der mit Abstand größte Teil der Grünen Gentechnik überhaupt nicht mit Bt-Toxin, sondern im Wesentlichen mit der Toleranz gegenüber Unkrautvernichtungsmitteln beschäftigt, insbesondere das von Monsanto entwickelte Round-up. Da sieht man sofort, schon in der ersten Wachstumsperiode, eine Vermehrung des Herbizideinsatzes.
(Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Das ist falsch!)
In Argentinien hat dies mittlerweile zu absolut desaströsen Auswirkungen geführt. Dort sind Tausende von Quadratkilometern, die tonnenweise mit Glyphosat vollgekippt worden sind, biologisch tot – und dies bis hin zu den Bodenorganismen, die normalerweise für die Humusbildung verantwortlich sind. Das heißt, es kommt zu wirklich schwersten ökologischen Zerstörungen – und dies nicht trotz, sondern wegen der Gentechnik. Das muss man doch einmal zur Kenntnis nehmen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Weil nun die ökologischen Erfahrungen mit der Round-up-Toleranz negativ und die mit dem Bt-Toxin bestenfalls neutral sind – von den gesundheitlichen Aspekten, von denen Frau Höfken gesprochen hat, will ich einmal ganz absehen –, bringen die Gentechniker immer wieder Pflanzen in die Diskussion, die gegen Trockenheit, versalzte Böden oder gegen allerlei Schädlinge – sie kommen zum Beispiel mit dem Goldenen Reis oder mit irgendetwas anderem Schönen – gentechnisch robust gemacht werden. Dies ist Window Dressing. Man versucht, etwas an die Wand zu malen, was in der Praxis entweder gar nicht vorhanden ist oder keinen Nutzen bringt. Das ist die bisherige Erfahrung.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Ob diese versprochenen Wunderpflanzen – oder manchmal auch Wunderfische – ökologisch unbedenklich sind, steht völlig in den Sternen. Das Umweltgutachten 2004 des Sachverständigenrats für Umweltfragen widmet der Grünen Gentechnik ein ganzes Kapitel. Der Rat sagt, dass bezüglich der ökologischen Risiken riesige Ungewissheiten bestehen. In diesem Gutachten wird der ökologische Landbau als besonders schutzwürdig betrachtet. Es ist völlig klar, dass die von der Europäischen Kommission in die Diskussion gebrachte und in die Praxis eingeführte Formel von der Koexistenz keinerlei Garantie für das Überleben des ökologischen Landbaus bietet. Man sollte sich dieses Wort einmal auf der Zunge zergehen lassen. Schon das Wort „Koexistenz“ ist eine sprachliche Täuschung. Da muss man mit den gedanklichen Mitteln des Vorsorgeprinzips und der gesetzlichen Umgebung ausdrücklich dafür sorgen, dass wenigstens die Koexistenz Wirklichkeit wird.
Lassen Sie mich zum Schluss ein paar Worte zur wissenschaftspolitischen Diskussion sagen. Mich hat ein Brief des Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, adressiert an Frau Däubler-Gmelin, sehr beunruhigt. Er sagt dort, dass die Forschung, die sich mit der Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen beschäftigt, nicht mehr stattfinden könne. Dazu fällt mir ein, was mir ein norwegischer Forscher sagte: 95 Prozent der Forscher, die zur Grünen Gentechnik arbeiten, stehen de facto auf der Payroll der Industrie. Das heißt, es ist gar kein Wunder, dass diejenigen, die im Wesentlichen die Kommerzialisierung im Sinn haben, Besorgnisse haben, wenn man ernsthaft über die ökologischen Auswirkungen forschen möchte.
(Widerspruch von der CDU/CSU und der FDP)
Es ist ganz richtig, dass manche dieser Fragen überhaupt erst noch erforscht werden müssen.
(Zuruf der Abg. Ulrike Flach [FDP])
Lassen Sie mich mit einer versöhnlichen Schlussbemerkung enden. Wenn man die Grüne Gentechnik dort einsetzt, wo sie wirklich eindeutig – also ähnlich wie die Rote Gentechnik – Nutzen stiftet, den man mit herkömmlicher Züchtung nicht erreichen kann – zum Beispiel bei Pflanzen, die sich als Diätgrundlage für Menschen mit bestimmten Stoffwechselkrankheiten eignen –, wird man von uns Umweltschützern und auch von dem vorliegenden Gesetz keinerlei Schwierigkeiten bekommen. Denn dabei handelt sich um Größenordnungen, die man ohne weiteres auch in geschlossenen Gewächshäusern züchten kann.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Präsident Wolfgang Thierse:
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin Happach-Kasan.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Professor von Weizsäcker, die Verunsicherung der Menschen vor zehn Jahren ging – da gebe ich Ihnen ausdrücklich Recht – von der Sache aus. Zu jener Zeit war der Öffentlichkeit, den Medien, aber auch den Politikern relativ wenig bekannt, dass Gene in jedem Lebensmittel vorhanden sind. Es war wenig darüber bekannt, was sich bei der Züchtung vollzieht. Es ist auch wenig über die zukünftigen Auswirkungen diskutiert worden. Meine Kritik ist, dass wir den Diskurs nicht offen, nicht ehrlich und nicht ohne das Schüren von Ängsten geführt haben. Dies muss sich meines Erachtens gerade Rot-Grün auf die Fahne schreiben lassen.
Ich finde es bedauerlich, dass Sie in Ihrem Debattenbeitrag die Forschung von Industrieunternehmen kritisiert haben. Wir wollen, dass angewandte Forschung nicht vom Staat, sondern von Industrieunternehmen bezahlt wird. Daher dürfen wir diese Forschung nicht als interessengeleitet und deswegen als nicht gut diskreditieren. Ich glaube, dass das eine falsche Vorgehensweise ist.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Wir wollen Grundlagenforschung in den Universitäten und wir wollen die angewandte Forschung von Industrieunternehmen und von mittelständischen Unternehmen, weil sie aus der Forschung einen Profit ziehen können. Wir wollen, dass Unternehmen Gewinn machen. Ich habe in Ihrem Beitrag die Auseinandersetzung mit Aussagen des Leiters des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung, Professor Saedler – er ist sicherlich nicht industriegeleitet –, vermisst, der auf dem Forum des Max-Planck-Instituts sehr deutlich gemacht hat, dass zum Beispiel 4 Millionen chinesische Baumwollanbauer mit der Gentechnik einen enormen Erfolg für die Umwelt erzielen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Dabei handelt es sich nicht um das Ergebnis von industrieller Forschung, wie Sie immer behaupten. Wie gesagt, es ist ein Erfolg für die Umwelt und damit ein Erfolg für die Menschen, weil es keine Unfälle mit Pflanzenschutzmitteln gegeben hat. Es ist außerdem ein Beitrag zur Weiterentwicklung des Landes, weil die Anbauer einen größeren Gewinn erzielt haben, als dies mit anderen Verfahren möglich wäre. Genau das wollen wir diesen Ländern ermöglichen. Wir wollen aber nicht, dass das satte Europa solche Entwicklungen in der Dritten Welt verhindert.
Bitte berücksichtigen Sie in der Diskussion die Aussagen von Jacques Diouf, der im FAO-Bericht sehr deutlich gemacht hat, wie wichtig die Weiterentwicklung einer solchen Forschung für die Ernährungssituation in der Dritten Welt ist. Sie ist damit im Interesse der Menschen in diesen Ländern. Ich bitte, das zu berücksichtigen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Präsident Wolfgang Thierse:
Kollege von Weizsäcker, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.
Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (SPD):
Frau Dr. Happach-Kasan, Sie geben mir Gelegenheit, festzustellen, dass ich die von der Industrie bezahlte Forschung weder für überflüssig noch für schlecht gehalten habe. Ich habe lediglich gesagt, dass zum Inhalt dieser Forschung nicht die Forschung hinsichtlich ökologischer Risiken gehört.
Hätte ich auf Herrn Professor Saedler antworten wollen, dann hätte ich die ziemlich negativen Ergebnisse in Karnataka in Indien mit den praktisch gleichen Sorten erwähnt.
Wenn ich auf den FAO-Bericht eingegangen wäre, dann hätte ich Stimmen aus den Entwicklungsländern zitiert, die ausdrücklich die Besorgnis äußern, dass die Grüne Gentechnik eine Privatisierung des Saatgutes und damit eine Schlechterstellung der wirklich Hungernden und der einfachen Landbevölkerung zur Folge haben könnte.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)