Auszug aus dem Plenarprotokoll 15/127, Deutscher Bundestag, Berlin, 24. September 2004
TOP 17 „Mehr Kosteneffizienz im Klimaschutz durch verstärkte Nutzung der projektbezogenen Kioto-Mechanismen“, Drucksachen 15/1690, 15/2803
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ernst Ulrich von Weizsäcker.
Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (SPD):
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! In das Kioto-Protokoll sind flexible projektbezogene Mechanismen aufgenommen worden, damit die Entwicklungsländer schon in der Frühphase der Umsetzung des Protokolls beteiligt werden. Denn in dem Protokoll selbst werden nur von den Industrieländern Reduktionsverpflichtungen verlangt.
(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Richtig!)
Insofern haben die Oppositionsparteien zweifellos Recht damit, dass man die flexiblen Mechanismen auch nutzen soll; insoweit besteht überhaupt kein Widerspruch. Ich bin einerseits sehr froh darüber, dass man auf der europäischen Ebene ein Stück vorangekommen ist. Ich stimme andererseits Herrn Minister Trittin zu 100 Prozent zu, wenn er sagt, dass es aus Gründen eines politischen Anreizes eine zeitliche Präferenz für den Clean Development Mechanism gegenüber der Joint Implementation gibt. Das ist notwendig, damit wir den Russen, die den jetzt erforderlichen Schritt gemacht haben, nicht schon wieder in den Rücken fallen und den Bremsern, die es in Moskau weiterhin gibt, nicht Nahrung geben. Insofern ist der Prozess auf dem richtigen Weg.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich will mich kurz mit der Aussage des Herrn Abgeordneten Göppel auseinander setzen, der den Vorsitzenden des Nachhaltigkeitsrats, Herrn Dr. Hauff, zitiert hat, der gesagt haben soll, das Kioto-Protokoll sei gar nicht mehr nütze. So habe ich Herrn Dr. Hauff nicht verstanden; auch ich war bei dieser Zusammenkunft anwesend. Er hat lediglich gesagt – da hat er natürlich Recht –, dass das Kioto-Protokoll klimapolitisch bei weitem nicht weit genug geht. Das liegt unter anderem daran, dass die Entwicklungsländer bei den CO2-Emissionen erhebliche Wachstumsraten zu verzeichnen haben und nicht Bestandteil des Kioto-Protokolls sind. Insofern ist es wieder richtig, dass wir das Kioto-Protokoll zwar so schnell wie möglich ratifiziert bekommen und in die Tat umsetzen, dabei aber wissen, dass das nicht das Ende der Fahnenstange sein kann.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
In diesem Zusammenhang gestatte ich mir, auf einen wissenschaftlichen Artikel hinzuweisen, der im März dieses Jahres im „Scientific American“ von einem Amerikaner namens James Hansen erschienen ist, der über den Art. 2 des Klimarahmenabkommens reflektiert und sich fragt: Was heißt das eigentlich, dass es keine schädliche Indifferenz des Menschen mit dem Klimageschehen geben darf? Er nimmt dann genau einen Parameter heraus – ich glaube, das macht er richtig –, der uns allen wirklich höchst bedrohlich erscheinen muss: den Meeresspiegel. Er sagt, dass nach all dem, was man aus geologischen Daten weiß, ein gefährlicher Anstieg des Meeresspiegels nur dann verhindert werden kann, wenn der Temperaturanstieg nicht über 1 Grad Celsius hinausgeht. Diese Toleranzgrenze ist wesentlich geringer als die, die man bisher angenommen hat. Wenn sich das zum Beispiel in Sankt Petersburg, das ebenfalls auf Meeresspiegelhöhe liegt, in Kalkutta, in Hamburg oder an anderen Stellen herumspricht,
(Horst Kubatschka [SPD]: Oder Florida!)
dann wird völlig klar, dass wir über das Kioto-Protokoll weit hinausgehen müssen. Dann wird das Land, das die Abkoppelung der Wirtschaftskraft von CO2-Emissionen am elegantesten und effizientesten vorgeführt hat, den Wettbewerbsvorteil haben. Deswegen ist es so wichtig, dass wir Deutsche uns aus dieser klimapolitischen Diskussion nicht durch eine Wegnahme dieser Obergrenze davonstehlen. Die Obergrenze ist ja sehr sinnvoll für ein Land, das die Kioto-Verpflichtungen schon erreicht hat, ohne auf die flexiblen Mechanismen zurückgegriffen zu haben. Wenn wir jetzt auch noch die Obergrenze wegnehmen, dann ist der Anreiz für die deutsche Industrie, wie Herr Kelber richtig gesagt hat, faktisch null, sich auf diesen fortschrittsträchtigen Weg zu begeben.
(Dr. Rolf Bietmann [CDU/CSU]: Die Obergrenzen sind in der europäischen Richtlinie nicht mehr drin!)
Wir sind uns einig, Herr Bietmann, dass wir die flexiblen Mechanismen nutzen wollen. Wir sollten versuchen, in dieser Sache keinen unnötigen Parteienstreit anzufangen. Wir müssen auch bei uns im Land den Anreiz dafür groß genug machen, dass man sich auf die nötigen klimafreundlichen Innovationen einlässt. Im Bereich der erneuerbaren Energien ist ja bereits der Beweis geführt worden, dass die Zahl der Arbeitsplätze, an denen für den heimischen Markt und für den Export produziert wird, durch den Ausbau dieser zukunftsträchtigen Energieformen erheblich vergrößert werden konnte. China hat ja anlässlich der Bonner Konferenz erklärt, man wolle auf jeden Fall eine gewaltige Ausweitung auf – ich glaube – 17 Prozent bei den erneuerbaren Energien haben.
(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 19 Prozent!)
Ferner hat man erklärt, dass Deutschland für sie in dieser Frage der Technologiepartner ist. Darauf können wir stolz sein. Im Bereich der Energieeffizienz sind wir noch nicht ganz so weit; wir sind jedenfalls nicht an der Weltspitze. Bei der gleichen Veranstaltung, Herr Göppel, hat Frau Dr. Merkel mit Recht auf das riesige Potenzial an Einsparungen im Bereich der Gebäudesanierung hingewiesen. Da muss bei uns im Lande einiges gemacht werden; auf diese Beschäftigungsmöglichkeiten zugunsten des Klimaschutzes warten auch Tausende von Handwerksbetrieben. Das wird Deutschland voranbringen und sicherlich nicht zurückwerfen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derCDU/CSU)
Um der Beschäftigung willen, um der Pionierrolle willen und um des langfristigen Klimaschutzes willen haben wir also allen Anlass, die im Kioto-Protokoll vorgesehenen flexiblen Mechanismen zu nutzen, aber auch darüber hinauszugehen und bei uns wesentlich mehr zu erreichen als nur die Verminderung um 19 Prozent gegenüber dem Jahr 1990. Darüber sollte es keinen Parteienstreit geben.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Josef Göppel [CDU/CSU])