China wieder im Aufwind

Hier in den USA merkt man es deutlich. Der bis vor wenigen Monaten übliche amerikanische Hochmut gegenüber China ist verflogen. Man warf hier genüsslich alles in einen Topf: böses Umspringen mit Seiner Heiligkeit, dem Dalai Lama, vergiftete Spielzeuge, Einparteienstaat statt Demokratie, Sportler bis zum Umfallen quälen, um Medaillen zu gewinnen, den Irakkrieg kritisieren, aber die sudanesischen Bluthunde in Darfur unterstützen. China war eine Art Mülleimer für amerikanische Vorwürfe und Vorurteile. Der auf chinesische Zulieferer angewiesenen Wirtschaft und den Heerscharen von in China tätigen Amerikanern war das sehr unangenehm, aber die vornehmlich konservativen Medien waren gnadenlos.

Dieser Hochmut ist, wie gesagt, verflogen. Schwer zu sagen, was eigentlich der Auslöser für den Stimmungswandel war. Da war einmal natürlich das große Erdbeben, das weltweit Mitgefühl auslöste; dort hat Regierungschef Wen Jiabao selbst die Schaufel in die Hand genommen, Familien getröstet, das Ausland zur Mithilfe eingeladen, in scharfem Kontrast zur Myanmar-Diktatur, die sich bei der tödlichen Überschwemmung arrogant gegen äußere Hilfe stemmte. Dann der Regierungswechsel in Taiwan, wo der neue Führer Ma Ying-jeou die im Republikanerlager der USA bewunderte, leicht pubertäre Ablösungspolitik seines Vorgängers Chen Shu-bian gegen China an den Nagel hängte. Und schließlich die unübersehbare Tatsache, dass das von der reinen Marktlehre dominierte Amerika durch das Aufhäufen von faulen Hypotheken in Multimilliardenhöhe die Weltwirtschaft in einen Abwärtssog zog, während die chinesische Staatslenkung lauter extrem gesunde Zahlen vorlegen konnte.

Seit diesem Mai erlebt die Welt das aus US-amerikanischer Sicht Unerhörte, dass chinesische Führer die USA öffentlich darüber belehren, was für wirtschaftspolitische Fehler man vermeiden sollte. Im Kern sagen die Chinesen, dass man die Balance zwischen Staat und Markt wahren muss, – und sie sagen das zu einer Zeit, wo sie immer mehr Markt ins Land lassen, aber eben mit Augenmaß. Folgerichtig ist in China die Achtung für die einst vom Republikaner-Amerika madig gemachten Europäer in jüngerer Zeit deutlich gestiegen, eben weil Europa die kriegerischen und wirtschaftspolitischen Fehler der Amerikaner nicht gemacht hat und der Euro eine von niemandem vorausgesagte Stärke zeigt.

Doch die chinesischen Probleme sind und bleiben gigantisch. Mitte Juni hat China die heimischen Energiepreise drastisch angehoben. Die Weltmarktentwicklung sowie innerchinesische Kohletransportunterbrechungen ließen der Führung keine andere Wahl. Und die chinesischen Kleinkapitalisten, die viel Geld in Aktien von Energieunternehmen gesteckt hatten, saßen der Regierung im Nacken, als es einen Kurssturz an der Börse von Shanghai gab. Die Umweltprobleme sind ungelöst und machen den Organisatoren der Olympischen Spiele die größten Sorgen. Der Weltrekord-Marathonläufer Gebrselassie sagte bereits aufgrund seines Asthmas seine Teilnahme ab. Und bei viel zu niedrigen Energiepreisen ist eine Entlastung schwer vorstellbar. Das hehre Versprechen im 11. Fünfjahresplan, die Energieeffizienz um 20% zusteigern, wird zweifellos verfehlt.

Andererseits stellen wir ausländischen Umweltschützer bei unseren Chinareisen mit Befriedigung fest, dass das Umweltbewusstsein einschließlich des Klimabewusstseins ständig zunimmt. Insbesondere die politische Führung lässt kaum eine Gelegenheit aus, völlig unabhängig von den Olympischen Spielen, die zentrale Bedeutung des Umweltschutzes zu betonen. Das gilt auch im Rahmen des neuen Leitbilds der „Harmonischen Gesellschaft“. Diese gilt als Kontrast zur Marktverherrlichung in der vorausgegangenen Jiang Dsemin-Periode, während derer die soziale Ungleichheit dramatisch angestiegen war.

Mit dem ökologischen und sozialen Bewusstsein auf der Führungsebene allein werden die Problem noch nicht gelöst. Die soziale Seite lasse ich hier aus, weil mir Detailkenntnis fehlt. Auf der ökologischen Seite muss man damit rechnen, dass sich erst etwas ändert, wenn es rentabler wird, energieeffizient und umweltgerecht zu wirtschaften als verschwenderisch und schmutzig.

Ich bin recht optimistisch, dass die chinesische Führung, die jetzt national und international wieder im Aufwind ist, die Probleme ursächlich angeht. Es kann sehr gut sein, dass China sich auf eine langfristige Strategie einer Anhebung der Energiepreise einlässt, um die Energieproduktivität strategisch zu steigern und damit die vielleicht gefährlichste Schwachstelle der Wirtschaft zu überwinden. Denn Ökosteuern werden dort in politischen Kreisen vollkommen unideologisch diskutiert.

Der China Council, eine auf internationale Kooperation für Umwelt und Entwicklung ausgerichtete paritätische Kommission zwischen chinesischen und internationalen Experten, hat eine neue Arbeitsgruppe für eben diese Frage eingerichtet. Ich wurde gebeten, sie zusammen mit dem ehemaligen Vize-Umweltminister Ye Ruqiu zu leiten. Der Auftrag ist die Konzeption ökonomischer Instrumente für Energieeffizienz und Umweltschutz. Und der China Council berichtet direkt an den chinesischen Ministerpräsidenten!